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Corona-Dialoge, Teil 2: Javi, Kobe, Bruno, Draft und mehr

Die Welt ist immer noch im Griff des Coronavirus’. Maurice Hauß und ich nutzen die Auszeit für eine Fortsetzung unserer Corona-Dialoge.

Maurice ist als Autor beim größten deutschen FC Bayern-Blog MiaSanRot tätig. Neben dem Rekordmeister verfolgt er die amerikanische Sportwelt aufmerksam. Egal ob Golf, Darts oder Radfahren – ihm ist keine Sportart zu langweilig oder ausgefallen, um sich damit zu beschäftigen.
Enrico war so freundlich, den Text Korrektur zu lesen. Vielen Dank.

Heute unterhielten wir uns über den News in der Bundesliga, alte und neue Drafts und wagen einen melancholischen Blick zurück ins Sommermärchen 2006.

Der 1996er NBA-Draft: The Answer, my friends, is picked at #1

Georg: Hallo, Maurice!  Unser erster “Corona-Dialog” ist nun zwei Wochen her. Die Sportwelt steht immer noch still. Wie ist es dir in der Zwischenzeit ergangen?  

Maurice: Mir geht es gut und ich hoffe, bei dir ist das nicht anders. Ich habe meine Masterarbeit angefangen und bin dafür umgezogen. 

Georg: Masterarbeit klingt nach den wenigen Dingen, die man auch in Isolation gut (oder sogar besser?) voranbringen kann. Zumindest was die theoretischen Teile angeht. 

Maurice: Das stimmt sogar. Auf dem Weg hatte ich Zeit ein paar Podcasts nachzuholen. Besonders spannend fand ich den 1996er NBA Re-Draft von Bill Simmons. Was für Namen! Kobe, Iverson, Ray Allen, Steve Nash. Eine loaded Draft Class. Sind wir uns darüber einig, dass heute, 24 Jahre später, Kobe Bryant von den Philadelphia 76ers an der #1 genommen würde? 

Georg: Den Podcast habe ich leider nicht gehört, aber ich erinnere mich gut an diese Zeit. Nie habe ich mich mehr für die NBA interessiert. Mein Lieblingsspieler des 96er-Drafts: Marcus Camby! Leider hat er sein Potenzial nie ganz ausschöpfen können, schon gar nicht im Vergleich mit dem Rest der Klasse. 

Hätten die Sixers Kobe draften sollen? Rückblickend natürlich ein No-Brainer. Aber Kobe war damals 17 (!) und natürlich nicht NBA-ready. Iverson hingegen spielte vom ersten Tag an wie ein Allstar. Das macht es natürlich wahnsinnig schwierig, sich eine Parallelwelt mit Kobe bei den 76ers vorzustellen. 

Maurice: Ich finde das eine spannende Gedankenwelt, sind sich die beiden auf dem Platz doch recht ähnlich. Shoot-first, pass-second Guards mit einem ausgeprägten Drang zum (gesunden) Egoismus und hoher Usage-Rate. Was ändert sich also mit Kobe für die Sixers? Nun, sie bekommen einen wesentlich jüngeren Spieler, der die Franchise länger prägen kann als AI. Doch bereits der junge Kobe outperformt Iverson in nahezu allen Metriken. Schwer zu glauben, dass im schwächeren Osten für Philly nicht mehr als eine Finals-Teilnahme rausgesprungen wäre.

Wie würde deine restliche Top-5 aussehen?

Georg: Nach Kobe würde ich rückblickend wahrscheinlich Nash, Iverson, Allen und als 5. Marcus Camby picken. Da kann ich dann doch nicht anders. Wie sehen deine Top-5 aus?

Maurice: Persönliche Vorlieben kann ich natürlich verstehen, aber in meiner Liste gibt es leider keinen Platz für Camby. Ich hätte auch Nash an zwei, würde dann aber Allen über Iverson sehen. Aus dem einfachen Grund, dass ich eine längere Karriere bekomme und weniger Drama. Die Advanced Metrics Value Over Replacement und Win Shares sehen das übrigens genauso. An der fünften Position kann man in verschiedene Richtungen gehen. Marbury, O’Neal, Stojaković sind alle legitim. Ich wähle allerdings den undrafted Ben Wallace, der als defensiver Anker ein ganz wichtiger Roleplayer für die Bad Boy Pistons wird.

Aber uns steht ja auch ein anderer Draft bevor. Die NFL wählt schon nächste Woche ihre größten College-Talente. Ich bin noch relativ unvorbereitet. Auf wen sollte ich ein besonderes Auge werfen? 

Vergesst Tua und Burrow – schaut auf diesen Jungen von Clemson

Georg: Ich bin ein großer Fan von Metriken wie “Value over Replacement”. Entsprechend habe ich deiner Auswahl wenig entgegenzusetzen.

Mit dieser Überleitung kann der Ausblick auf den NFL-Draft natürlich nur mit den Quarterbacks beginnen. Denn keine andere Position bringt in der NFL vergleichbar viele “Wins above Replacement”. Zu den Top-Prospects Burrow und Tua ist wahrscheinlich schon alles gesagt. Meine drei Prospects, auf die man schauen sollte (nicht zu verwechseln mit den drei besten Spielern!):

Jordan Love, QB: Er ist m. E. kein Kandidat für einen Startingjob zu Beginn der Saison. Ideal wäre wahrscheinlich, wenn er mindestens ein ganzes Jahr hinter einem erfahrenen Quarterback lernen könnte. Dann aber hat er ein unglaublich hohes Ceiling. Mahomes-Story 2.0?

Jerry Jeudy, WR: Einer der beiden Superstar-Receiver, die in die Liga kommen. Wer immer ihn draftet, wird vom ersten Spieltag an viel Spaß mit ihm haben. Jeudy sei der beste Route Runner im Draft, so die einhellige Meinung von Adrian Franke und Co. 

Isaiah Simmons, LB: Mein Lieblingsspieler im Draft. Der genannte Franke und Jan Weckwerth haben ihn im Podcast als “eierlegende Wollmilchsau” bezeichnet. Eine treffende Bezeichnung für den Linebacker von Clemson. Ein Wahnsinnsathlet und kompletter Verteidiger, der deine Defense auf ein neues Level hebt. Er ist in der Verteidigung einfach überall, erinnert mich an Javi Martínez zu besten Zeiten als Sechser. Ich bin sehr gespannt, wo er vom Board gehen wird. 

Ich kann dir wärmstens empfehlen, dich mit dem Draft zu beschäftigen. Macht nicht nur Spaß, es ist vor allem weiterhin eine der wenigen Sport-Aktivitäten, die dieses Frühjahr passieren. 

Verlängerungen beim FC Bayern

Maurice: Dann muss ich das mal dringend angehen, denn deine Beschreibungen klingen spannend. Noch habe ich ja etwas über eine Woche, bis am 23. April dann die ersten Picks verkündet werden. 

Allerdings picke an dieser Stelle lieber deinen Quervergleich von Simmons zu Martínez auf. Denn auch in der Bundesliga stehen die Räder nicht komplett still. Der FC Bayern hat die große Runde der Vertragsverlängerungen eröffnet und mit Hansi Flick sowie Thomas Müller begonnen. Beide Entscheidungen kann ich nur sehr begrüßen. Was Flick schon in kurzer Zeit auf die Beine gestellt hat, stimmt hoffnungsvoll. Gerade wenn er noch mehr Zeit bekommt, um eigene Konzepte umzusetzen. Auch sehr gut, dass er wohl mit klaren Vorstellungen und Forderungen in die Verhandlungen ging. Die Pressemitteilung mit O-Tönen der Verantwortlichen von Kahn bis Salihamidžić stimmen positiv, dass in München an einem Strang gezogen wird.

Von den 2021 auslaufenden Verträgen scheint es jedoch bei Neuer zu stocken. Im Miasanrot-Chat hatte Dennis die Kontroverse angestoßen, ob der Kapitän jemals als Identifikationsfigur im Verein angekommen ist. Wie siehst du das?

Georg: Die Verlängerung von Flick war absehbar. Er hat das Team in die Spur gebracht und lässt einen ebenso erfolgreichen wie attraktiven Fußball spielen. Auch die Führungsspieler scheint er hinter sich zu wissen. Thomas Müllers Form ist wieder im Bereich der Weltklasse. Kombiniert mit seiner Eigenschaft als Identifikationsfigur war auch diese Verlängerung keine Überraschung. 

Bei Neuer, nun, so habe ich es noch nie betrachtet, aber Dennis’ Argument leuchtet ein. Vergleichen wir ihn nur mit dem angesprochenen Müller. Müller ist Bayern, Bayern ist Müller. Neuer ist Neuer. Ich bin dennoch optimistisch, dass auch er und Thiago noch verlängern werden. 

Big City Bruno

Doch nicht nur die Bayern waren aktiv. Auch beim Big City Club aus Berlin tut sich etwas. Bruno Labbadia wurde als neuer Cheftrainer vorgestellt. Was hältst du davon? 

Maurice: Ich bin ein Fan von dieser Verpflichtung. Labbadia hatte bis auf seiner zweiten Amtszeit beim HSV – in der er den Verein jedoch in der Relegation vor dem Abstieg bewahrte – bei jeder Station einen Punkteschnitt von über 1,50. Anstatt ein weiteres Experiment à la Klinsmann, setzt man in der Hauptstadt also nun auf ein Urgestein der Bundesliga. Sicherlich ein richtiger Schritt. Wichtig wird es jedoch sein, mit der richtigen Erwartungshaltung die restliche Saison zu bestreiten. Was hältst du denn generell von einem Trainerwechsel mitten in der Corona-Pandemie? Kann sowas funktionieren?

Georg: Das stimmt. Labbadia konnte bei seinen letzten Stationen überzeugen. Dazu ein eher pragmatischer Trainer, der den jeweils zur Mannschaft passenden Stil findet und eher fine-tuned als an taktischen Revolutionen zu arbeiten. Das könnte der verunsicherten Hertha-Mannschaft gut tun. 

Der Zeitpunkt ist interessant. Labbadia äußerte sich auch dahingehend, dass es für ihn natürlich schwierig sei, weil klassische persönliche Gespräche mit den Spielern in der Form nicht möglich sind. Existierende Trainingspläne in die Cloud zu schieben dürfte schon schwierig sein, aber ein komplett neues Programm aufzusetzen umso mehr. Andererseits bietet die aktuelle Auszeit auch Chancen: Labbadia gewinnt Zeit. Zeit, die man normalerweise bei neuen Engagements mitten in der Saison nicht bekommt. Er kann sich sehr gründlich mit dem Video- und Datenmaterial seines Teams auseinandersetzen. Die Saison ist für Hertha ohnehin gelaufen und es geht – sofern nochmal angepfiffen wird – nur noch um den Klassenerhalt. Bei 6 Punkten Vorsprung sollte das bei der Qualität der Berliner aber auch per Zoom oder Hangouts machbar sein. 

Denkst du, wir sehen die Teams in dieser Saison noch auf dem Rasen?

Geisterspiele oder Lattenschießen?

Maurice: Das ist natürlich die große Frage. Immer mehr lokale Sportverbände, gerade auch in anderen Sportarten, haben die Saison für Hobby-Sportler nun für beendet erklärt. Die Bundesliga hat noch hohe Hoffnungen. Ich stehe der ganzen Nummer noch etwas kritisch gegenüber, weil der Aufwand so groß scheint. Die vielen Tests vor und nach Spielen, die nötig wären, sind wohl kaum vertretbar, während andernorts Mitbürger auf Tests warten. Auch sind die Kosten für den Spielbetrieb wohl durch Geisterspiele nicht zu decken. Der Präsident von Rot-Weiß Oberhausen meinte, dass inklusive der vierten Liga “Bier, Bratwurst und Eintrittspreise” für 90 % der Einnahmen sorgen. Bei der Bundesliga ist das natürlich nicht so extrem, aber dennoch ein nicht zu vernachlässigender Teil der Einkünfte.

Eine Option für die NBA brachte Bill Simmons ins Gespräch: Spiele in kleineren Hallen oder gar Trainingsstätten. Das hätte natürlich seine Charme, wenn die nächste Runde FC Bayern gegen Borussia Dortmund nicht in der Allianz Arena, sondern um die Ecke auf der Bezirkssportanlage Freimann stattfinden würde. Haha.

Die NBA hat jetzt ja auch mit einem H.O.R.S.E.-Wettbewerb alternative Sportkonzepte ausprobiert. Denkst du so etwas könnte eine Option für die restliche Corona-Krise sein, um Sportsüchtigen wie uns zufriedenzustellen? Und was wäre überhaupt das Äquivalent im Fußball: Lattenschießen?

Georg: Lattenschießen! Count me in! Direkt verwandelte Eckbälle, Jongliertricks, ich bin mir sicher, den Fußballern fällt noch mehr ein. Ich finde diese Ideen richtig gut, verbuche sie aber natürlich nur als das was sie sind: reine Spielereien. Gut geeignet, um Content für verschiedene Kanäle, vor allem Social Media, zu generieren. Aber Ersatz für echten Wettbewerb sind sie für mich nicht. 

Als erster Schütze: Oliver Neuville

Da konsumiere ich lieber Sportklassiker. In unserem letzten Gespräch hatte ich mich noch dahingehend geäußert, mir keine alten Spiele angeschaut zu haben. Was ich jetzt aber für mich entdeckt habe, ist die Aufbereitung der WM 2006 durch den “Gut Sport”-Podcast. Die beiden Jungs wecken wunderbare melancholische Glücksgefühle beim Zuhören. Ich nehme an, du gehörst auch zu den Hörern? 

Maurice: Auf jeden Fall. Steffen und Eike höre ich immer gerne zu, für dieses Thema gilt das besonders. Toll aufbereitet, mit viel Liebe fürs Detail und einigen netten Anekdoten. Ganz viele der kleinen Geschichten hatte ich über die Jahre schon wieder vergessen. Das Gefühl dieser tollen WM kam direkt wieder zurück. Welche Szene kommt dir beim persönlichen Rückblick denn vors innere Auge?

Für mich ist es das Elfmeterschießen gegen Argentinien. Die Szene wie Kahn zu Lehmann geht, absolut legendär und ganz großer Sportgeist. Der vielgerühmte und eventuell over-hypte Zettel im Schienbeinschoner. Auch spannend, dass ich mich aber nicht mehr an die Elfmeterschützen erinnern konnte: Ballack und Podolski hätte ich vermutlich auch geraten, aber Neuville und Borowski zu sehen, überraschte mich schon.

Georg: Das Elfmeterschießen gegen Argentinien wird auch für alle Zeiten einen besonderen Platz in meiner Erinnerung einnehmen, nicht zuletzt weil es das einzige Spiel der Deutschen war, das ich im Stadion sah. An die deutschen Schützen erinnerte ich mich aber auch nicht mehr, Borowskis Beteiligung würde sich für die 1-Million-Euro-Frage oder eine nette Kneipenwette eignen. Lehmanns Paraden haben sich hingegen deutlicher bei mir eingebrannt. 

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Wer auch im Jahr 2006 schwelgen will, hier geht es zum Sommermärchen revived:

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