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American Football

Overtime-Regeln in der NFL sind unfair! Sind sie?

Ein historisch spannendes “Wild Card”-Wochenende liegt hinter uns. Dreimal setzten sich die Auswärtsmannschaften durch, alle vier Partien endeten als One-Score-Game, und zwei Spiele waren sogar so knapp, dass sie erst in der Verlängerung (Overtime) entschieden wurden. 

Und wie fast immer war die mediale Rezeption der Overtime Regeln negativ, z. B.

Zunächst sei erwähnt, dass die verbreiteten Aussagen zum Thema natürlich unausgewogen sind: Wer mit bestimmte Regeln d’accord geht, erwähnt dies nicht explizit vor der ganzen Welt.  

Losgelöst davon will ich dem Thema auf den Grund gehen. Die Kritik flammt oft dann auf, wenn das eigene Team verliert wenn die Overtime durch einen Touchdown im ersten Drive entschieden wird. “Team B hatte doch nie eine faire Chance!” so der Tenor. 

Dazu sei gesagt: Sie hatten eine Chance. Sie nehmen ihrer Defense am Drive teil. Ein durchschnittliches NFL-Team erzielt nur in jedem 4. oder 5. Drive einen Touchdown. Selbst das offensiv effizienteste Team 2019, die Baltimore Ravens, erzielt laut Football Outsiders nur in etwas weniger als jedem 3. Drive einen Touchdown. Wer also im ersten Overtime-Drive einen Touchdown zulässt, dessen Defense hat unterdurchschnittlich performt. 

Und dennoch: Es scheint intuitiv unfair zu sein, eine Overtime zu beenden, ohne dass beide Teams einen offensiven Drive gespielt haben.

Was eine optimale Overtime ausmacht

Eine perfekte Lösung würde folgenden Anforderungen genügen:

  • Gefühlte Fairness: Jede Offense bekommt mindestens einmal den Ball. Garantiert.
  • Messbare Fairness: Die Siegwahrscheinlichkeit für gleichstarke Teams sollte nah an 50/50 sein, egal wer als erstes den Ball bekommt.
  • Sieger: Das Spiel endet möglichst selten Unentschieden. Vier Stunden lang den wahrscheinlich härtesten Mannschaftssport der Welt zu spielen, ohne dass ein Team gewonnen hat? Passt nicht zum US-Sport (siehe auch NBA oder MLB). 
  • Kürze: Die zusätzliche Spieldauer soll so kurz wie möglich sein. Football ist hart. Jeder zusätzliche Snap schmerzt. Manchmal auch den Zuschauern.
  • Einfachheit: Die Regeln sind einfach gehalten und auch für Nicht-Akademiker verständlich. 

Overtime-Varianten und ihre Vor- und Nachteile

Alte NFL-Regel

Bis 2010 galt in der NFL ein einfacher und direkter Sudden Death. Wer zuerst punktet, gewinnt.

Pro: Einfachheit und Kürze sind erfüllt. Es gab auch fast immer einen Sieger.

Contra: Die Regel war nicht fair und fühlte sich auch nicht so an. In ca. 60% der Fälle gewann das Team, das zuerst einen Drive starten durfte. 

Geltende NFL-Regel

Die aktuelle Regel ist eine Reaktion auf die Unfairness der alten Regel. Sudden Death gilt nur noch eingeschränkt, nämlich wenn ein Touchdown erzielt wird. Gelingt im ersten Drive nur ein Field Goal, hat das zweite Team die Chance, die drei Punkte auszugleichen oder zu überbieten.

Pro: Es ist objektiv fairer als die alte Regel. Laut “The Ringer” gewinnen die eröffnenden Teams nur noch in knapp 53% der Fälle. Die Zahl der Unentschieden stieg leicht, aber bleibt auf niedrigem Niveau.

Contra: Die Regel ist kompliziert. Im Gegenzug ist sie zwar fairer, aber immer noch nicht perfekt. Und die gefühlte Unfairness beim Sudden Death bleibt.

College-Regel

Overtime im College-Football ist wie Tennis ohne Tie-Break. Jedes Team startet abwechselnd einen Drive, und das geht hin und her, bis ein Team mehr Punkte hat.

Pro: Eine einfache und scheinbar faire Regel: jedes Team bekommt mindestens einmal den Ball.

Contra: Die Regel ist nicht fair. Es ist ein substanzieller Vorteil, als zweites Team in Ballbesitz zu kommen.
Der Informationsvorsprung hilft bei der Entscheidungsfindung. Hat Team 1 nicht gepunktet, reicht ein Field Goal zum Sieg. Hat Team 1 einen Touchdown erzielt, reicht Team 2 ein Field Goal auf keinen Fall usw. Daraus ergeben sich zusätzliche Vorteile im Playcalling für Team 2. Je nach Spielstand können z. B. kritische 4th Downs ausgespielt werden. Oder eben nicht. Man kennt die Risiken deutlich besser als Team 1 einen Drive vorher. 

Verlängerung auf Zeit (Fußball 1)

Der Spielstand spielt keine Rolle. Die zehn Minuten werden ausgespielt.

Pro: Die Regel besticht durch Einfachheit. Zwar könnte ein Team theoretisch die vollen zehn Minuten für einen Drive verwenden und mit einem Score in letzter Sekunde gewinnen, wahrscheinlich bzw. häufig wäre das aber nicht. De facto käme jedes Team einmal in Ballbesitz.

Contra: Ansonsten spräche nicht viel für diese Regelvariante. Die Verlängerungen würden relativ lange dauern, und die Gefahr für Unentschieden stiege signifikant an. Auch wäre weiterhin denkbar, dass Team 1 einen Vorteil daraus zieht, zu beginnen und jeweils vorlegen zu können.

“Elfmeterschießen” à la NFL (Fußball 2)

Angelehnt an die ultimative Entscheidungsfindung im Fußball würde auch im American Football ein Shootout eingeführt. Zu klären wäre ob als abwechselnder Goal-Line-Snap oder als “Field Goal”-Wettschießen. Ebenso wäre zu klären, ob jedes Team zunächst fünf Versuche hat und ob die Schwierigkeit z. B. durch zunehmende Entfernung erhöht wird. 

Und tatsächlich führt die neue XFL ein Shootout ein:

Pro: Auch diese Regel wäre (je nach Detailvariante) recht einfach und ebenso objektiv wie gefühlt fair. Der Fokus auf Scoring-Szenen erhöht zudem die Spannung. Per Definition muss es einen Sieger geben.

Contra: Von meinen ursprünglichen Anforderungen wären alle erfüllt. Football-Puristen könnten jedoch kritisieren, dass diese Art der Entscheidung kein Football-Spiel im eigentlichen Sinne ist.  Ich bin gespannt auf die Rezeption des XFL-Experiments.

Auktion (Nerdvariante 1)

Eine Sudden-Death-Variante, bei der sich ein Team die Feldposition für den Beginn des ersten Drives ersteigert. Das mutigere Team, das bereit ist, aus einer schlechteren Feldposition zu starten, erhält als Belohnung den Ball im ersten Drive.

Pro: Fairness. Das Modell gibt zwar keine Garantie auf Ballbesitz für beide Teams, aber durch die Auktion waren die Teams in diese Entscheidung involviert: Jedes Team hätte die Chance auf Ballbesitz gehabt, eins davon hat freiwillig verzichtet. Deal with it!

Contra: Ansonsten spräche nicht viel für diese Regelvariante. Die Verlängerungen würden relativ lange dauern, und die Gefahr für Unentschieden stiege signifikant an. Auch wäre weiterhin denkbar, dass Team 1 einen Vorteil daraus zieht, zu beginnen und jeweils vorlegen zu können.

Ultimatumspiel (Nerdvariante 2)

Auch die Spieltheorie hat Lösungen anzubieten, die in einer Gleichgewichtslösung münden. Eine abgewandelte Variante von Rubinsteins Ultimatumspiel könnte eine elegante Lösung bringen. Team 1 (entweder Gewinner oder Verlierer des Münzwurfs) legt den Startpunkt für den Drive aus Sicht des Teams mit Ballbesitz fest, also z. b. “eigene 15-Yards-Linie”. Team 2 würde entscheiden, welches Team starten darf.

Pro: Im Ergebnis wäre die Variante sehr nah an der Auktion. Auch hier gäbe es keine Garantie für beidseitigen Ballbesitz, aber relevante Entscheidungen beider Teams. Die Gleichgewichtslösungen sollten auch für ein hohes Maß an Fairness stehen. Zudem wäre es ein interessantes Feldexperiment und Grundlage für eine Vielzahl von Papers im Bereich der Mikroökonomie.

Contra: Ähnlich kompliziert wie die Auktion und damit kaum vermittelbar. 

Fazit

It’s tricky. Die aktuelle Regel ist gewiss nicht perfekt. Sie ist relativ kompliziert, bietet dafür nur einen kleinen Mehrwert gegenüber den einfachen Varianten von früher und vom College. 

Der Ökonom in mir wünscht sich eine Gleichgewichtslösung durch einen Auktions- oder Spieltheoriemodus. Realistisch ist eine solche Einführung nicht. Spannend wird das Experiment in der XFL sein. 

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